Die Fähre

Neben dem Übergang durch die alte Furt über die „Spieke“ zu Fuß, mit Ross und Wagen, hat sich bald angesichts der unterschiedlichen Wasserführung des Flusses der Nutzen einer geregelten Boots- und Fährverbindung erwiesen. Die Fuldaregulierung 1895 führte zu einer Anhebung des Wasserspiegels, und auch bei Hochwasser im Winter und im Frühjahr hatte es für den Fußgänger, aber auch für den Transport von Gütern deutliche Vorteile, zu Schiff den Fluss überqueren zu können.

Neben der einfachen, durch Ruderboot versehenen Fährverbindung gab es auch den an einem Drahtseil den Wasserstrom nutzenden Bootsverkehr bis zu Booten, auf denen zwei Heuwagen Platz fanden (der sog. Prahm). Um den sich bald entwickelnden Schiffsverkehr durchzulassen, praktizierte man verschiedene Lösungen: sowohl das auf Grund liegende wie das an Masten geführte Drahtseil fanden Verwendung (Gierseil).

Urkundliche Belege über das jahrhunderte alte Bestehen der Fahrverbindung finden sich kaum, auch Berichte, Bilder und verlässliche Anhaltspunkte sind rar. So muss ich mich hierauf die Wiedergabe eines nicht gezeichneten Artikels aus den Mündenschen Nachrichten vom 5. März 1928 beschränken. Lässt auch dieser Artikel manche Frage offen, zeigt er doch, welche Bedeutung die Fährverbindung über lange Zeit für Spiekershausen, aber auch für die Gastwirte „von gegenüber“ hatte: um den Zankapfel stritten sich der Gastwirt Steinmacher aus der „Grauen Katze“, der Gastwirt Hilke vom „Roten Kater“ und der Gastwirt Grimm vom „Waldschlösschen“:

„Die Fähre bei Spiekershausen – Ein alter Rechtsstreit zu Gunsten von Landwehrhagen entschieden (Landwehrhagen, 5. März 1928)

Wer in den letzten Jahren das im schönen Fuldatale idyllisch gelegene Dörfchen Spiekershausen mit den gegenüber auf hessischer Seite liegenden drei Gastwirtschaften „Graue Katze“, „Roter Kater“ und „Waldschlösschen“ zu besuchen Gelegenheit hatte, konnte eine merkwürdige Beobachtung machen. Den Verkehr zwischen dem rechten und linken Fuldaufer vermittelten dort drei Fährschiffe, von deren Besitzern zwei gegen Entgelt ihre Dienstleistungen verrichteten, nämlich die Besitzer der beiden letztgenannten Vergnügungsstätten, während der Dritte, der Besitzer der „Grauen Katz“e, die Überfahrt unentgeltlich bewerkstelligte und auch sein Schiff mit einer entsprechenden Aufschrift versehen hatte. Die drei hatten früher gemeinsam und zwar gegen Entgelt die Überfahrt versehen, waren jedoch hinsichtlich der Ausübung des Fahrbetriebes in Meinungsverschiedenheiten geraten, und so war der geschilderte Zustand entstanden.

Um nun diesem Zustande, aus dem sich schließlich nachbarliche Freindseligkeiten entwickelten, ein Ende zu machen, strengte die Realgerneinde Landwehrhagen als Besitzerin der Fähre Klage gegen den Besitzer der „Grauen Katze“ beim Landgericht Göttingen an mit dem Erfolg, dass letzterer kostenpflichtig zur Unterlassung des Anlegens an der von der Realgemeinde erbauten Treppe verurteilt wurde und seinen Fahrbetrieb einstellen musste.

Man wird sich fragen: Fähre zu Spiekershausen? Realgemeinde Landwehrhagen Besitzer? Um diese Rechtslage zu verstehen, muss sich der Leser in die Zeiten des Mittelalters zurückversetzen:

Am 16. Januar 1356 überließ Herzog Ernst der Jüngere von Braunschweig wieder die Fähre zu Spiekershausen der Kirche St. Petri in Landwehrhagen. Die hierauf bezügliche Urkunde ist in Sudendorfs Urkundenbuch, Band 2, S. 292, aufgeführt und hat folgenden Wortlaut:

„Wir Ernest die junger Heirtzoge to Brunswich Bekennen vor vns von vnse eruen Das wer widder gelazen haben vnsem heren sente Petir to dem Lantgrebenhayn de vere to Spikeshusen dor god. also das wer vnd vnse erben die vorgenanten veir fry vnd allir dinge ledich geuen Des gebe wir hir ouer to orkunde dussen breif mit vnsem heymelichen Ingesigele gevestent, Anno domini M CCC LVI in die Marcelli pape.“

Die Fähre wurde später zu einem jetzt nicht mehr zu ermittelnden Zeitpunkte, welcher jedoch vor dem Jahre 1730 liegt, von der Kirche an die Realgemeinde Landwehrhagen übertragen, die dafür eine jährliche Pachtzu zahlen hat. Die Realgemeinde ihrerseits verpachtete die Fährgerechtsame an einen meistens in Spiekershausen wohnenden Fährmann.

In früheren Zeiten, als es noch keine Landstraßen gab, wird sich wohl der meiste Verkehr von Kassel nach Münden und umgekehrt über Spiekershausen abgespielt haben, daher hatte die Fähre eine sehr große Bedeutung. Aus dieser Bedeutung ist wohl auch das Vermächtnis des Herzogs Ernst zu erklären.

Vor etwa 20 Jahren (also 1908) ordnete die Wasserbauverwaltung an, dass die Fähre, welche bisher von einem Ufer zum anderen in schräger Richtung geführt hatte, eine gerade Richtung nehmen sollte. Die Realgemeinde, deren frühere Vertreter bei den Verkoppelungen der Gemeinden Wolfsanger und Spiekershausen sowie bei der Fuldaregulierung versäumt hatte, das Recht auf Zuteilung und Eintragung von Landungsplätzen geltend zu machen, sah sich nun genötigt, diese zu erwerben, was auch nach längeren Verhandlungen gelang. Die Realgemeinde musste auf diesen Platzen auf Anordnung der Wasserbauverwaltung die jetzt dort befindlichen breiten Treppen anlegen.

Der Gastwirt Hilke, der den Platz auf der hessischen Seite unentgeltlich zur Vefügung gestellt hatte, wurde nun im Jahre 1910 Pächter und betrieb nach Erledigung des Rechtsstreites zwischen ihm und Steinmacher gemeinsam mit seinen beiden Nachbarn Steinmacher und Grimm die Fähre bis zum Jahre 1922 auf vertraglicher Grundlage. In diesem Vertrage erkannte Steinmacher trotz vorhergegangener gerichtlicher Auseinandersetzung Hilke als alleinigen Pächter an.

Im Jahre 1922 endete dieser vertragliche Zustand infolge Meinungsverschiedenheiten, und es entstand das anfangs geschilderte Verhältnis, dem nur durch den Spruch des Gerichts ein Ende gemacht wurde.

Wie gesagt, nur für kurze Zeit. Denn bald setzte der Kampf von neuem ein. Anlass hierzu bot die Verpachtung eines Wiesengrundstückes am hannoverschen Fuldaufer, das der „Grauen Katze“ gegenüber liegt. Steinmacher pachtete dieses Grundstück zu einem sehr hohen Pachtpreis und benutzte dasselbe als Anlegeplatz für seine Freifähre. Durch den Rechtsbeistand der Realgemeinde zur Einstellung des Fahrbetriebes aufgefordert, drohte Steinmacher durch einen Kasseler Anwalt der Realgemeinde mit der Klage bei Verweigerung des Anlegerechtes.

Die Realgemeinde antwortete Steinmacher binnen weniger Tage mit der Klagezustellung, und zwar lautete diese aufgrund des Celler Urteils vom 10. März 1888 auf die erneute Festlegung der Ausschließ1ichkeit des Faährrechts auf hannoverscher Seite. Die Urteilsverkündung erfolgte am 14. Mai 1926. Der Realgemeinde wurde in diesem Urteil erneut das ausschließliche Fährrecht am rechten (hannoverschen) Ufer zugesprochen. Dann erwirkte die Realgemeinde eine einstweilige Verfügung des Landgerichts in Göttingen, durch welche dem Beklagten die Ausübung des Fährrechts bis zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreites bei hoher Strafe verboten wurde. Diese Verfügung wurde indessen vom Feriensenat des Oberlandesgerichts in Celle wieder aufgehoben. Das Freifährschiff des Herrn Steinmacher trat am anderen Tage wieder in Tätigkeit, und zwar blumengeschmückt. Doch der Rechtsstreit ging weiter. Herr Steinmacher hatte inzwischen Berufung eingelegt, und nach verschiedenen Vertagungen des Verhandlungstermins wurde im März 1927 in der Berufungsinstanz in Celle verhandelt. Nach erneuter Verhandlung und mehrfacher Vertagung wurde am 26. September 1927 das Urteil verkündet. In diesem Urteil wurde nun die Berufung des Beklagten Steinmacher verworfen und der Realgemeinde das ausschließliche öffentliche Fahrrecht über die Fulda bei Spiekershausen zugesprochen. Also nicht nur auf hannoverscher Seite. Die Kosten des Verfahrens fielen dem Beklagten zur Last.

In dem Urteil wird ausgeführt, dass das Fährrecht Regal (Hoheitsrecht) sei. Als Ausfluss dieses Regalitätsrechtes (Ausschließlichkeitsrechtes) ist die Verleihung der Spiekershäuser Fähre durch Herzog Ernst den Jüngeren von Braunschweig vom 16. Januar 1356 an die Kirche zu Landwehrhagen aufzufassen. Dass die hierauf bezügliche Urkunde z. Zt. nicht aufzufinden ist, beweist nichts gegen ihre Existenz und Echtheit, die vom Gegner angezweifelt wurde. Denn falls Sudendorf, der seinerzeit Sekretär am Archiv zu Hannover und der erste Fachmann auf dem einschlägigen Gebiet war, irgendwelche wissenschaftliche Zweifel an der Echtheit der Urkunde gehabt hatte, wurde er sie nicht in seine Sammlung aufgenommen haben.

Das Urteil gibt dann eine ausführliche Begründung dessen, was in der Regel unter Regalität verstanden wir und führt dazu Gerichtsentscheidungen und juristische Kommentare an. Das Fährregal lässt nur den eigenen Bedarf der Stromanlieger frei, nicht aber, wenn jemand seine Gäste über einen Strom bringt, einerlei, aber er sich dafür bezahlen lässt oder nicht.

Der Beklagte Steinmacher wandte sich dann mit einem Antrage an das Reichsgericht, daselbe hat jedoch wegen vollständiger Aussichtslosigkeit abgelehnt.

So ist nun das Urteil rechtskräftig geworden. Damit ist einem fast sechs Jahrhunderte alten Recht wieder Geltung verschafft, und durch dieses Urteil ist endlich einem über vierzig Jahre nach kürzeren und längeren Unterbrechungen immer wieder einsetzenden Kampfe nach menschlichem Ermessen ein Ende bereitet und Friede ist im schönen Fuldatal wieder eingekehrt.”

Quelle: Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde, www.Spiekershausen.de