Das Schmuggelnest – Kaffeekrieg

Aus Zeitungsartikeln der 20er-Jahre, die ich im „Sammelbuch für die Orts- und Schulchronik“ des Lehrers Brümmer fand, lässt sich ein anschaulicher Einblick in die Zeit des Schmuggels in unserem Dörfchen gewinnen.

Es geht um den Kaffee. Wir wissen ihn heute zu schätzen, wissen aber nicht, welche Probleme bestanden, ehe der Kaffee seinen Einzug halten konnte. Die Beschaffung von Kaffee belastete das Nationalvermögen, denn er musste mit mühsam verdienten Devisen und mit sehr hohen Transportkosten aus fernen Ländern herbeigeschafft werden. Dazu kam der Gesichtspunkt früherer Ärzte, die ihm eine gesundheitsschädigende Wirkung nachsagten. Das Interessante ist nun, dass Hannover – von 1714 – 1837 in Personalunion mit England regiert – leichter und billiger an Waren aus Übersee gelangte, so auch an den Kaffee, der vereinzelt bereits im Jahre 1582 in Europa Einzug gehalten hatte.

Demgegenüber hatte solche Quelle der Kaffeebeschaffung das konservative Hessen nicht. Landgraf Karl (1677 -1730) erließ, um dem um sich greifenden Luxus zu steuern, 1707 die nachstehend wiedergegebene Verordnung:

„Festung Cassel, den 24. Oktober 1707. Zu Unserem Mißfallen haben Wir zeither wahrgenommen, daß der Luxum in Unsern Landen, und bei denen darin befindlichen Einwohnern, täglich erwachse, dahero Wir, umb solchem einiger Masen zu begegnen, veranlassende Waaren und consumpribilia, mit deren Gebrauche es vornehmlich zum Mißbrauch zu kommen scheinen will, einigen wiewohl erleidligen Licent zu setzen, und zwar sollen bezahlt werden von jedem Thaler, wofür selbige verkauft werden: von Thée, Caffé, Schnupftabak und fein Indianisch Porcelin Guth, – 5 Alb. 4 Hell –„

Wenn Landgraf Karl zunächst den Erwerb solcher überseeischen Luxusgüter nur mit einer Abgabe belastete, so war sein Enkel, Friedrich II., Landgraf von Hessen (1760 – 1785), in verstärktem Maße nicht willens, „diesem landesverderblichen Unwesen“ länger zuzusehen. Am 28. Januar 1766 kam es daher zur ersten Verordnung gegen das Kaffeetrinken.

Das Auf und Ab von Verboten, milderen Bestimmungen und erneuten verschärften Verordnungen im Kampf gegen diesen vermeintlichen Feind der Sitten und der Gesundheit dauerte Jahrzehnte. Man hat sich noch lange erzählt „von den Wallfahrten“, die Kasseler Bürger in das auf dem anderen, rechten Fuldaufer gelegenen hannöverschen „auslandischen“ Dörfchen Spiekershausen unternahmen, wo sie – den als „Kaffeeriechern“ verschrieenen Zollbeamten zum Trotz! – ungestört den aromatischen Modetrunk schlürfen konnten. Am 28. Januar 1766 kam es daherzur erwähnten Ersten Verordnung gegen das Kaffeetrinken in Hessen. Alle auf dem Lande eingerichteten Kaffeeschenken und Krämereien wurden verboten, der Kaffeevorrat musste binnen drei Monaten fortgeschafft sein, erneuter Handel war untersagt und unter Strafe gestellt. Juden gingen ihres Schutzes verlustig, wenn sie das Verbot übertraten. Die Untertanen wurden sogar gezwungen, sich von ihrem Kaffeegeschirr zu trennen und es zu verkaufen. Die Obrigkeit wurde angewiesen zu prüfen, ob der erlaubte Kaffeegenuss in geringen Grenzen blieb und „bei verspürendem Missbrauch die Uebertreter nach Befinden“ zu bestrafen. Eine besondere Ermahnung erging an die Hausväter und -mütter, auch den Wäscherinnen und Büglerinnen keinen Kaffee zu reichen. „Das meynen Wir ernstlich“, verkündete der Landgraf, aber seine Untertanen meinten es anders.

Die Bedeutung Spiekershausens als Schmuggelnest wächst. Die hessisch-hannöversche Grenze zog sich vom Sanderhauser Berg aus dem sog. „Grenzsteinnest“ heraus durch eine enge Schlucht hinab zur Fulda zum „Zulehnerschen Steinbruch“ bis zum „Wannensteiner Wehr“ (beim heutigen Sportplatz des TSK). Noch heute führt der „Schmugglerpfad“ – ein gern gegangener Wanderweg – durch die steilen Ausläufer des Kaufunger Waldes, der früher hier mit seinem schier undurchdringlichen Dickicht Schutz vor Entdeckung bot.

Ein bronzenes Schmuggelmännchen mit einem dicken Sack auf dem Rücken erinnert an die abenteuerlichen nächtlichen Schleichgänge derer, die auf die kleinen Bohnen nicht verzichten wollten, oder die sich von dem Verkauf derselben im Hessischen ein bescheidenes Zubrot erhofften. Bei solchem Tun hat auch Johannes Josephus Eberlein, der als Grenzwächter in Spiekershausen eingesetzt war, auf einem Kontrollgang ein „dralles frisches Bauernmädchen“ beim Schmuggeln erwischt, das er am 18. Mai 1845 in zweiter Ehe heiratete, und das sehr bald Mutter unseres berühmten Gustav Heinrich Eberlein wurde.

Der „Krieg“ indessen ging weiter. Am 15. März 1770 kam ein Gesetz heraus, das die erste Verordnung aufhob: „Nachdem aber die bisherige Erfahrung gezeigt, dass diesem Verbote nicht der Gebühr nachgelebet und mit gehörigem Ernst nicht darüber gehalten worden…“, wollte der Landgraf auf anderem Wege zum gewünschten Ziel kommen. Er legte auf jedes Pfund Kaffee „mit Ausnahme des Levantinischen“ zwei gute Groschen „lmpost“, also Steuer. Aber auch diese Maßnahme brachte nicht den gewünschten Erfolg. Die Kaffeetrinker zahlten die zwei guten Groschen und tranken dafür den Kaffee etwas dünner. Am 11. März 1773 ließ der Landgraf sich wiederum vernehmen:

„Erneute und geschärfte Verordnung gegen das Kaffeetrinken: Nachdem Wir zu Unserm großen Mißfallen sehen müssen, daß der von unsern getreuen Unterthanen überall, insbesondere aber auf dem Lande seit einiger Zeit getriebene Mißbrauch mit dem Café… noch stärker einreißen … der Bürger und Landmann in seiner Arbeit aufgehalten, ja öfters von den Seinigen zu Hause, wenn Er abwesend ist, heimlicher Weise verthan wird, was Er sich mit saurer Mühe zu erwerben bemühet, auch überdies vieles Geld unnötiger Weise aus dem Lande geschleppt wird …“,

wird nun verboten, an „gemeine Unterthanen“ Kaffee zu verkaufen, „auch nicht einmal an die Hof-Laquais, noch andere geringe Hofbedienten …, weder an Unteroffiziere noch gemeine, es sei Loth- oder Pfundweise“. Derjenige aber, der das Verbot übertrat, sei es Frau oder Mann, solle „von seiner Obrigkeit sofort zum Wegebau oder anderer öffentlicher Arbeit“ verurteilt werden. Niemand kann sich von dieser Arbeit durch Gestellung einer Ersatzperson „losmachen“. Es wird auch auf den „mit viel Zeitverlust betriebenen Unfug des Café-Trinkens“ hingewiesen und endlich wiederum an das Verbot für die Waschfrauen erinnert. 10 Reichstaler Strafe wurden für die Hausfrau angesetzt, die ihrer Büglerin Kaffee verabfolgte. Auch die Trennung vom Kaffeegeschirr wurde erneut befohlen. Die Behörden erhielten Anweisungen, recht oft Haussuchungen durchzuführen, um dem Verbot Wirksamkeit zu verleihen. Wiederum aber blieben die Ausnahmen für die Honorationen bestehen, der Kaffeepreis wurde allerdings durch eine Abgabe in Höhe der Hälfte des Verkaufspreises heraufgesetzt. In Anweisungen der Polizei heißt es, dass dem Denunzianten eines „Contraventionsfalles“ der vierte Teil der vom Angezeigten zu zahlenden Geldstrafe als Belohnung zu geben sei; die Kaffebschnüffler hatten also gute Tage. Der Kaffee jedoch war stärker als jedes Ge-oderVerbot. Am 5. April 1775 erging daher ein „geschärftes Edict“ wegen „sträcklicher Beobachtung der Caffé- und Chocoladeordnung“. Es bedrohte jeden, der dem Kaffeeverbrauch frönte, mit der sehr hohen Strafe von 100 Talern und außerdem mit entsprechender Zuchthausstrafe!

Die Schokolade, ebenfalls Einfuhrartikel in Hessen, hatte vielen Leuten als Ersatz für den verbotenen Kaffee gedient. Aber da auch durch sie „vieles gutes Geld außer Landes verschleppt“ wurde, fiel sie ebenso unter Verbot. Den Wirten, die ja für fremde „Passagiere“ Kaffee verabfolgen durften, wurden aber „Caffé-Gelage“ streng untersagt. Die Geldstrafe wurde auf 5 und 10 Reichstaler festgesetzt und, falls die Anzeige durch einen Denunzianten erfolgte, sollte dieser das Geld bekommen.

Wieder war alles vergebens. Am 6. Juni 1776 wurde der Verkauf gebrannten und gemahlenen Kaffees unter Verbot gestellt. Wer den Kaffeesüchtigen Vorschub leistete, indem er „an die Krämer Scheine und Zettel nicht für sich, sondern für andere“ gab, die keinen Kaffee trinken durften, sollte mit 100 Reichstalern bestraft werden; das betraf insbesondere die „Eximierten“ denen der Kaffeegenuss erlaubt war und die Kaffee kaufen durften.

Am 6. Juni 1776 und am 21. Februar 1780 wurden erneut Gesetze gegen den Kaffee erlassen, die sich aber wiederum nicht durchführen ließen. Die Resignation und das Gefühl der Aussichtslosigkeit ist in den Worten des Landgrafen zu spüren, wenn es heißt:

„ob wir zwar erwartet hätten, daß sämtliche Beamte und Gerichtsbarkeit habende von Adel denen von Zeit zu Zeit ergangenen Caffé-Verordnungen zufolge sich eifrigst bemühen würden, daß Caffé-Trinken bey allen denen, welchen es verboten ist, abzustellen: So müssen Wir doch misfälligst wahrnehmen, daß noch in vielen Dorfschaften, wie auch in den Städten, denen es nicht verstattet worden, auf eine den Beamten nicht unbekannte Weise Caffé ohne Scheu getruncken und Crämerey getrieben wird.“

Das sollte zwar eine Erinnerung an das Verbot sein, klang aber doch eher als Rückzugssignal, und tatsächlich wurde es auch als solches gewertet. Das Kaffeegeschirr klapperte so lustig Wie nie zuvor. Landgraf Friedrich starb, ohne den Kaffeekrieg gewonnen zu haben. Sein Sohn, Landgraf Wilhelm IX. (1785 – 1821; seit 1803 Kurfürst Wilhelm I.) versuchte in die Fußtapfen des Vaters zu treten, aber auch seine erneut erlassenen Verbote standen mehr denn je nur auf dem Papier.

Am 14. Dezember 1792 erlässt er folgenden Aufruf:

„Wir Wilhelm der Neunte, Landgrafzu Hessen, thun kund und bekennen hiermit:Obwohl Unseres in Gott ruhenden Vaters Gnaden aus landesväterlicher Fürsorgefür das Wohl Dero Unterthanen bemüht gewesen sind, durch mehrere Verordnungendem übermäßigen Gebrauch des KqffeesEinhalt zu Thun, unter anderem alle Kaffekrämereyen auf den Dörfern verboten, so haben Wir doch mißfällig wahrnehmenmüssen, daß diese Verordnungen zeither nicht nur nicht befolgt worden sind, sondern daß vielmehr der Gebrauch dieses dem Wohlstande Unserer Unterthanen so nachteiligen Getränks jetzt stärker als jemals zuvor eingerissen ist.“

Es folgt Verwarnung, Strafandrohung, evtl. Konfiskation der Ware. Er gab eine Liste der zum Kaffeeverbrauch zugelassenen Städte und Ortschaften heraus, in denen Kaffee in gemahlenen oder gebrannten Zustand bei 10 Talern Strafe nicht verkauftwerden durfte, dahingegen ungebrannter in Mengen von nicht unter ein Pfund. 5 Reichstaler Strafe sollten diejenigen zahlen, die sich zum Erwerb eines Pfundes der begehrten Bohnen zusammen taten, weil es für eine Person zu teuer war. Händler auf dem Land versuchten, diese Verordnung dadurch zu umgehen, indem sie von den Bauern kein bares Geld, sondern Naturalien in Tausch nahmen. Dadurch leisteten sie dem unerlaubten Kauf von Kaffee Vorschub, was wiederum eine Strafandrohung zur Folge hatte.

Ein letztes Mal, 1799, war das Kaffeeverbot Gegenstand einer Verordnung in Hessen, aber der Kaffee war Sieger in einem fast ein Jahrhundert dauernden Krieg. Um 1850 verstummten die Gegner des Kaffeegenusses gänzlich. Der starke Alkoholverbrauch, diese verderbliche Unsitte der europäischen Völker, von der Friedrich der Große einst sagte: „Ich wünschte, das das giftige garstige Zeug nicht da wäre und getrunken würde“, hatte durch die Einführung des Kaffees eine wesentliche Einschränkung erfahren. Wachtposten waren nun hüben wie drüben nicht mehr nötig. Das Zollhaus auf kurhessischer Seite wurde zu einer Gastwirtschaft, der späteren „Grauen Katze“ umgebaut

Quelle:  Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde, www.spiekershausen.de