Die Fulda

Spiekershausen an der Fulda auf einer Postkarte um die Jahrhundertwende
Die Fulda ist die Lebensader unserer Region und prägt die Lage unseres Dorfes als „Naherholungsgebiet vor den Toren der Großstadt Kassel“. Sie erfreut den Wanderer und Radler gleichermaßen, sei er Spiekershäuser oder zu Gast hier. Sie trägt große und kleine Schiffe, verwandelt sich im Winter manchmal in eine Eisfläche; sie ist lieblich romantisch, stürmisch, ja sogar in früheren Zeiten war sie gefährlich und lebensbedrohend, wie verschiedene Hochwassermarken noch bezeugen können.
Die Schifffahrt vergangener Jahrhunderte, Planungen der Landgrafen zur Erleichterung derselben und Bemühungen unserer heute aktiven Behörden haben sich immer wieder mit der Fulda beschäftigt.
Das Archiv des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hannoversch Münden hat mir freundlicherweise zur Geschichte und Entwicklung dieser Wasserstraße bis hin zum letzten großen Stau viele Einblicke gegeben, die hier – zumindest auszugsweise – nicht fehlen sollten.
Ein geschichtlicher Rückblick beschreibt die Fuldaschifffahrt bis 1893:
„Die Fulda hat, wie die meisten deutschen Flüsse, schon von jeher als Schifffahrtsstraße gedient. Besonders war es der von und zur Stadt Kassel als Haupt- und Residenzstadt der Hessischen Landgrafen und Kurfürsten sich entwickelnde Verkehr, dessen Träger bis ins 19. Jahrhundert hinein die Fuldaschifffahrt gewesen ist. Ein wesentliches und oft umstrittenes Hindernis in diesem Verkehrsablauf war das im Jahre 1247 der Stadt Münden verliehene Stapelrecht, nach dem alle Fahrzeuge, die durch Münden kamen, ihre Ladung dort zum Kauf und Verkauf auslegen mussten und so Münden zum Nachteil von Kassel, zur blühenden Handelsstadt des Mittelalters machten. Viele langandauernde Prozesse um das Mündener Stapelrecht sind von den Hessischen Landgrafen geführt worden, jedoch ohne nachhaltige Erfolge. Bekannt geworden ist auch der von Landgraf Karl von 1710 unternommene Versuch, zur Umgehung Mündens einen Schifffahrtskanal von der damals als Hugenottensiedlung errichteten Stadt Karlshafen über das Diemel- und Essetal nach Kassel zu bauen (der sog. Diemel-Plan), eine Maßnahme, die nur im Diemeltal streckenweise ausgeführt wurde und mit dem Tode des Landgrafen endete. Der Schiffsverkehr auf der Fulda, wie auch der Oberweserverkehr, wurde dann fast eingestellt, als zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Halle-Casseler-Eisenbahn erbaut wurde und dadurch völlig neue, für die Schifffahrt nicht mehr konkurrenzfähige Verkehrsverhältnisse geschaffen wurden.“
Eine Beschreibung des damaligen Schiffsverkehrs auf der oberen Fulda zwischen Bebra – Rotenburg – Kassel möchte ich nicht vorenthalten, da ich mir vorstellen kann, dass sich auf der unteren Fulda bei Spiekershausen das gleiche Bild bot:
„Die Schiffe hatten damals meist eine Länge von 20 – 24 m und waren nur 1,30 bis 1,50 m breit. An Aufbauten gab es ein Vorder- und ein Hinterkastell zum Übernachten der Schiffer. Die Fuldaschiffe konnten 250 – 350 Zentner laden, waren mit zwei bis drei Mann besetzt und verfügten über Segel und Mast.
Stromab ging es meist mit eigener Kraft. Wo die Strömung nicht stark genug war, beispielsweise vor den Durchlassen bzw. Schleusen, mussten die Schiffer staken, d. h. das Schiff mit langen eisenbeschuhten Stangen am Grunde abstoßen und vorwärtsschieben. Erlaubte es der Wind, so wurde vom Segel Gebrauch gemacht. Wenn die Schiffe auf Sandbänken und sonstigen Untiefen hängen blieben, mussten die Schiffsknechte ins Wasser und schieben.
Stromauf war die Sache schwieriger. Hier wurden die Schiffe von ein oder zwei Pferden an langen Leinen gezogen. Die Gespanne gingen hierbei am Ufer auf dem Treidelpfad. Er war meist befestigt und verlief, je nach Geländeverhaltnissen, am rechten oder linken Ufer entlang. Beim Seitenwechsel gingen die Pferde kurzerhand durch das Wasser. Im Winter wurden sie im Schiff auf die andere Seite befördert. Die Gespanne für die landgräflichen Schiffe mussten in der Regel die anliegenden Dörfer stellen.“
Dass auch in unserem Fuldabereich getreidelt wurde, beweist der gegenüber auf hessischer Seite gelegene Treidel- oder Leinpfad.
In diesem Zusammenhang möchte ich eine Begebenheit erwähnen, aus dem Sammelbuch für die Orts- und Schul-Chronik des Lehrers Brümmer. Gemeindevorstand Schütze gibt am 10.4.1932 folgende Schilderung:
„Jérôme Napoléon per Schiff besucht Spiekershausen. Die Spiekershauser Ehrendamen überreichen Blumen. Dafür erhalten sie 70 Thaler, die zur Anschaffung der Kirchenglocke Verwendung fanden.“
 
Über den Ausbau und die Fuldakanalisierung in den Jahren 1893 bis 1895 wird in den Archivakten weiter berichtet:
„Die Geschichte des Diemel-Planes ist auch die Erklärung dafür, dass die wirtschaftlich viel wichtigere Strecke der unteren Fulda von Kassel bis Münden nicht für die Schifffahrt ausgebaut wurde. Bis zum Erlöschen des Stapelrechts 1866, als das Königreich Hannover in Preußen aufging, hat das feindselige Verhältnis zwischen Münden und Kassel bzw. zwischen Hannover und Hessen einen Ausbau verhindert.
Etwa um dieselbe Zeit, in der der Kampf um den Mittellandkanal in seine entscheidende Phase trat, regten sich auch Interessen für die Kanalisierung der unteren Fulda. Münden sollte künftig nicht Endpunkt der Weserschifffahrt sein, sondern die zehnmal größere Stadt Kassel.
Die Staustufen in Münden, Bonaforth, Wilhelmshausen, Speele, Kragenhof, Spiekershausen und Wolfsanger wurden zwischen 1893 und 1897 gebaut. Der Aufstau des Wasser erfolgte durch Nadelwehre, nur bei Münden erfolgte der Stau durch zwei schon von alters her vorhandene feste Wehre.
Die Schleusen erhielten nutzbare Langen von 60 m und lichte Breiten von 8,60 m. Schon bald stellte sich aber heraus, dass die 60-m-Schleusen für die meisten der immer größer werdenden Binnenschiffe zu klein waren und die Nadelwehre schwere betriebliche Mangel bei Hochwasser und Eisgang hatten.“
Eine nutzbare Wasserstraße für Handel und Verkehr wurde unsere Fulda nun leider (oder Gott sei Dank) nicht. Die Furten in Höhe der Grauen Katze einerseits sowie in Höhe der Mühle andererseits verschwanden. Daher wird als Ersatz neben der Personenfahre bei der Grauen Katze vom Königlichen Wasserbauamt bei km 89,6 in Höhe der Mühle eine Prahmfähre eingerichtet. Der Betrieb dieser Lasten- und Wagenfähre wird vom Regierungspräsidenten zu Cassel mit Schreiben an den „Bauermeister, Herrn H. Schütze, Wohlgeboren, Spickershausen“, unter dem 19. Juni 1895 wie folgt geregelt:
„l. Da die Durchfahrt durch das Winneknecht’sche Grundstück keine öffentliche ist und das Recht zu deren Benutzung nur einer beschränkten Anzahl von Berechtigten zusteht, so haben auch nur diese Berechtigten Anspruch auf Beförderung durch die Fähre.
2. Eine Beförderung von Personen, die nicht zu einem Fuhrwerk gehören, findet nicht statt, da sie auch früher die Furt in der Hauptfulda nicht benutzen konnten.
3. Fahrgeld wird bis auf Weiteres nicht erhoben.
4. Der Betrieb der Fähre erfolgt durch den Wehr- und Schleusenmeister der Stauanlage Spickershausen und dessen Gehülfen.
5. Die Tageszeit, wahrend der die Fähre benutzt werden darf, ist für das Sommerhalbjahr, vom 1. April bis 30. September, von morgens 5 Uhr bis abends 7 Uhr und für das Winterhalbjahr vom 1.Oktoberbis31.März von einer halben Stunde vor Sonnenaufgang bis eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang festgesetzt.
6. Für die sichere Ein-undAusfahrt der Fuhrwerke sowie für das ruhige Stehen derPferde während des Übersetzens sind die Leiter der Fuhrwerke verantwortlich. Die auf den Fuhrwerken befindlichen Personen müssen während der Überfahrt absteigen. Allen Anordnungen des Fährmannes ist Folge zu leisten.
Ich ersuche Sie ergebenst, Vorstehendes in geeigneter Weise zur Kenntnis der Berechtigten zu bringen.“
Berechtigte waren „der Betreiber der Mühle in Spiekershausen sowie die Einwohner von Spiekershausen und lhringshausen zum Verkehr mit Kassel, zu landwirtschaftlichen Fuhren bzw. zum Verkehr mit der Mühle und etwaigen Holzfuhren.“

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Im Juli 1934 zeigte eine Abrechnung über Fahrgelder, dass auch nichtberechtigte Fahrzeuge die Fähre benutzen konnten, und zwar gegen folgende Bezahlung:

Für 1 Auto 2 Sitze 2 Personen = 63 Pf.
Für 1 Auto 4 Sitze 3 Personen = 72 Pf.
Für 1 Fuhrwerk, leichtes, 1 Person = 32 Pf.
Für 1 Motorrad 2 Sitze 1 Person = 45 Pf.
Für 1 Wagen, leer, 2 Pferde 1 Person = 68 Pf.
Für 1 Wagen, beladen, 2 Pferde 1 Person = 90 Pf.
Für 2 Pferde = 54 Pf.
Vom 17.7. – 26. 7.1940 wurde im Auftrage der Dienststelle des Luftgaupostamtes Frankfurt/Main ein Truppenteil verlegt, und zwar:

7 LKW leer und 23 Personen und
7 LKW beladen und 24 Personen.
1930 werden Kurgäste der Walderholungsstätte Kragenhof e.V. wegen ihrer Bedürftigkeit unentgeltlich „im Trupp“ übergesetzt.

Nach Sprengung der Eisenbahnbrücke 1945 war die Nord-Südverbindung unterbrochen, auch für die Flüchtlingsströme. In großer Zahl suchten Flüchtlinge und Vertriebene unter Benutzung der Prahmfähre wieder den Anschluss an die Bahn auf der anderen Seite zu erreichen; wie mir erzählt wurde, unter Mithilfe von Spiekershäusern, die mit Fuhrwerken und Handwagen – nicht ganz uneigennützig – behilflich waren.

Während die Personenfähre bei der Grauen Katze wegen Krankheit seit Frühjahr 1967 ruhte, endete der Betrieb der Prahmfähre schon kurze Zeit vorher. Im September 1973 gab Gemeindedirektor Stockmann Folgendes bekannt:

„…. Die Fähre diente den Einwohnern von Spiekershausen als Zuwegung zu ihren auf dem linken Fuldaufer liegenden Wiesen und den Einwohnern von Ihringshausen als Zuwegung zu der auf dem rechten Fuldaufer liegenden Winneknecht’schen Mühle. In den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Prahm noch einige Jahre jeweils in der Heuernte von einem Landwirt aus Spiekershausen angefordert. Seit etwa acht Jahren ruht der Fahrbetrieb gänzlich. Da auch die Winneknecht’sche Mühle ihren Betrieb seit langem eingestellt hat, liegt m. E. ein echtes Bedürfnis für den Betrieb der Fähre nicht mehr vor.

Bei Wiederaufnahme des Fährverkehrs müsste der vorhandene Prahm nach den derzeitigen neuen Sicherheitsbestimmungen unter Aufwendung erheblicher Mittel umgebaut und entsprechend hergerichtet und ausgerüstet werden. Die Aufwendungen dieser Mittel (geschätzt auf etwa 30.000,- DM) können in wirtschaftlicher Hinsicht nicht verantwortet werden, weil der Prahm nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre auch in der Zukunft nicht wieder eingesetzt werden braucht. …“

Eine entscheidende Umgestaltung erfuhren die Verhältnisse im unteren Lauf der Fulda zwischen Kassel und Hannoversch Münden mit der 1975 – 1980 durchgeführten „kleinen Lösung“ der Umkanalisierung. „Diese kleine Lösung beinhaltete den Bau eines Wehres mit 8,10 bzw. 8,50 m Fallhöhe in Hannoversch Münden und Wahnhausen sowie je einer vergrößerten Bootsschleuse für Fahrgast- und Sportschifffahrt und Ausbau der Fuldastrecke für diesen Verkehr auf 1,50 m Wassertiefe. Auf die ursprünglich vorgesehenen Güterschiffsschleusen wurde verzichtet.“

Um Platz für die künftige Fahrrinne zu schaffen, wurden die alten Wehrtore und der Hauptteil der Schleusen durch Sprengungen gelockert und dann abgetragen. Am 17. April 1980 beginnen die Staumaßnahmen; das Wasser steigt bei Spiekershausen rund drei Meter über den bisherigen Wasserstand, die Wassertiefe muss mindestens 1,50 m betragen.

Die starkverminderte Fließgeschwindigkeit des Flusses machte den Einsatz einer Sauerstoffanlage erforderlich. Die an der Fulda im Dorfbereich gelegenen Kleingarten leiden unter Staunässe. Biotope entstehen und sollen Eisvogel und Uferschwalbe anlocken. Die nunmehr stetig kontrollierte, gleich bleibende Wasserhöhe führt zur Anlage zahlreicher Bootsstege. Freizeitkapitäne von nah und fern bevölkern den verbreiterten Fluss und den sich anschließenden See bei Kragenhof.

Inzwischen sind die erhöhten, mit Steinen aufgefüllten Böschungen wieder eingewachsen. Weiden und Erlen spiegeln sich in den Wellen der Fulda. Reiher haben sich angesiedelt, Schwane brüten. – Aller Skepsis und den Befürchtungen, dass „die Fulda etwas von ihrer Schönheit verlieren wird“ (Okt. ’79) zum Trotz hat sich die Natur von den Eingriffen des Menschen erholt und regeneriert. Man kann vielleicht sogar sagen, die Fulda hat an Schönheit und Attraktivität gewonnen.

Auch die „Weiße Flotte“ freut sich der verbesserten Bedingungen für die Personenschifffahrt. Und auch sie hat – noch den Mündenschen Nachrichten – ihre Geschichte:

„Im August 1895 wurde die Fuldaschifffahrt eröffnet. Der erste Personendampfer, der zwischen Kassel und der Grauen Katze verkehrt, war der Seitenraddampfer „Lydia“ des Kapitäns Dehne, der zu Hameln auf der Erbstein’schen Werft erbaut und später nach Ostpreußen verkauft wurde. Etwa gleichzeitig fuhr das Motorboot „Marie“ („Lottemanns Mariechen“), das aber schon im Winter 1895/96 bei einer leichtsinnig unternommenen Hochwasserfahrt auf das alte Fuldawehr beim Finkenherd auflief und zerbrach. Zwei Personen fanden den Tod.

Der Dampfer „Cassel“ aus Hannoversch Münden und das Schiff „Nienburg“ der Bremer Schleppschiffahrt AG, das den Kahn „Bremen 18“ in der Trosse hatte, waren die ersten Frachtschiffe, die an Spiekershausen vorbei den Kasseler Hafen anliefen.“

Im 2. Weltkrieg und auch kurz danach herrschte auf der Fulda ein reger Frachtverkehr. Die Schlepper „Biene“ und „Hameln“ zogen oft bis zu drei „Bremer Böcke“. Der als Vierschraubenschlepper gebaute Dampfer „Gustav“ wurde für die untere Fulda umgebaut; auf einem seither nie wieder benutzten Helgen entsteht der Hinterraddampfer „Elsa“.

Gegenwärtig befahren die Unternehmen Rehbein und Söllner mit ihren Schiffen die Fulda. Die „Hessen“, die „Deutschland“, die „Stadt Kassel“ und die „Brüder Grimm“ sowei die „Europa“ bringen Ausflügler in Scharen in unser schönes Fuldatal, nicht selten auch fröhliche Gesellschaften mit Tanz und Musik.

In diesem Zusammenhang soll auch ein Kuriosum nicht vergessen werden, das sich auf der Fulda ereignete und die Spiekershauser Vorfahren in großes Erstaunen versetzte:

Am 24. September 1707 trennte sich Dennis Papin (franz. Arzt und Natudorscher) von Landgraf Karl, der ihn 1688 an den hessischen Hof nach Kassel geholt hatte. Er bat den Landgrafen um Entlassung, da am „Collegium Carolinum“ von hessischen neidischen Professoren gegen ihn intrigiert wurde. Sein Abschiedsgesuch wurde genehmigt, und so gedenkt er als wertvollsten Besitz ein kleines Schiff mit Schaufelrädern mitzunehmen, das ihm zu seinen Versuchen, ein Dampfschiff zu entwickeln, gedient hatte und dessen Ruderräder von Menschenhand getrieben wurden. Er wollte das Mündener Stapelrecht umgehen und fand einen Mündener Schiffer, der das Fahrzeug in Schlepptau nehmen wollte. Aber in Münden wurde er entdeckt, von der Schiffergilde an Land gezogen und sein Schiff gnadenlos vernichtet .

Quelle: Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde, www.spiekershausen.de