Spiekershausen als Verhandlungsort

Spiekershausen war nicht nur ein verstecktes „Hänflingsnest“ und abgelegenes Bauern- und Fischerdörfchen, sondern mehrfach berührt vom Hauch der großen Welt. Über die Jahrhunderte zogen sich immer wieder fürstliche Hoheiten hierher in das Grenzgebiet zwischen Hannover und Hessen zurück, um miteinander Dinge zu erörtern, die diese Fürstenhauser beschäftigten:

1482 trafen sich Mechthild von Würftemberg, Gemahlin Landgraf Ludwigs II., d. Freimütigen, von Hessen (gest. 1471) und Herzog Wilhelm II., d. Jüngere, von Braunschweig (gest. 1503), um die Verlobung ihres Sohnes Wilhelm I., d. Älteren, mit seiner Tochter Anna Elisabeth festzusetzen. Im Schloss zu Münden „wurde das Beilager am Sonntage Estomihi (17. Febr.) 1488 mit außerordentlicher Pracht vollzogen“.

1498 fand eine weitere Zusammenkunft fürstlicher Hoheiten in Spiekershausen statt zwischen Herzog Erich I., d. Älteren, von Braunschweig-Calenberg (gest. 1540, Bruder von obiger Anna Elisabeth), Herzog Heinrich, d. Älteren, von Braunschweig-Wolfenbüttel (beide sind Brüder) einerseits und Landgraf Wilhelm II. von Hessen andererseits. Es war zu heftigen, ja sogar kriegerischen Auseinandersetzungen gekommen, angezettelt durch den rankesüchtigen braunschweigischen Kanzler Stoffmahl. Grund war der Streit um Lehns- und Landeshoheiten. Selbst die Bande der Verwandtschaft zwischen beiden fürstlichen Häusern sowie die gemeinsame Freundschaft zu Kaiser Maximilian, dem „letzten Ritter“, vermochten den Ausbruch der Fehde nicht zu verhindern. Als Herzog Erich erkannte, dass er absichtlichen Betrügereien seines Kanzlers aufgesessen war, hatten Plünderungen und Verwüstungen auf beiden Seiten bereits ihre Opfer gefordert. Stoffmahl war so raffiniert, dass er den mangelnden Grund für eine braunschweigische Angriffposition durch „spitze Deduktion aus dem römischen Recht zu ersetzen suchte“ und damit den Herzog in einen Kampf mit dem befreundeten und verschwägerten hessischen Fürstenhaus verwickelt hatte. Herzog Erich fühlte sich hintergangen, ließ Stoffmahl des absichtlichen Betruges überführen und zu Wolfenbüttel hinrichten.

1500 trafen sich die beiden Fürsten, Landgraf Wilhelm II. von Hessen und Herzog Erich I. von Braunschweig erneut in unserem Dörfchen an der Fulda, wobei Abt Hermannvon Corvey den Vermittler spielte. Es ging um Grenzstreitigkeiten, Fischerei- und Schifffahrtsfragen sowie erneut um Meinungsverschiedenheiten über die Lehnshoheit in der Herrschaft Plesse.

Als Hintergrundinformation möchte ich auszugsweise aus einem Aufsatz von Bruno Jacob zitieren, der Anfang der 30er Jahre in den Mündener Nachrichten erschienen ist:

„Beeinträchtigung des Fischertrages in hessischen Gewässern durch das Mündener Stapelrecht.

Herzog Otto von Braunschweig, das Kind (geb. 1204, gest. 1252; Enkel Heinrichs des Löwen) sichert um 1247 neben anderen Freiheiten und Rechten der Stadt Hannoversch Münden das Stapelrecht zu. Auf lange Zeit hin hat die Stadt Münden ihr Stapelrecht zum Schaden des Kasseler und des hessischen Handels ausgeübt dergestalt, dass der hessische Handel erst den Zug des Weserstromes weiter unterhalb erreichen konnte und der Schiffsverkehr von und nach Kassel immer behindert war. Durch Jahrhunderte zieht sich eine versteckte oder offene Feindschaft zwischen Kassel und Münden, die manchmal zu offenem Kampf oder Tätlichkeiten aufloderte!
Besonders scharf machte sich das zuerkannte Recht im Fischereiwesen des hessischen Landgrafenhofes bemerkbar: Der Salmenzug in früherer Zeit brachte bekanntlich reichen Ertrag. Der wertvolle Fisch folgte auf seinem Laichzug vornehmlich klaren Gewässern, in diesem Fall dem klaren Ederwasser, das die Weser mitführte. Nur in beschränktem Umfang stiegen die Lachse in der Werra empor. Den Lachsen war es ein Lebensbedürfnis, die klaren und kalten Quellbäche des Ederflusses für ihr Laichgeschäft zu erreichen. Um nun aber die Fische auf ihrem Weg in die hessischen Gewässer aufzuhalten und am Überspringen der Fuldawehre zu hindern und so den Fang für sich zu erwerben, hatte die Mündener Bürgerschaft ihre Fuldawehre durch Aufsetzen von Reisig und Faschinen erhöht.
Landgraf Wilhelm II., der Mittlere, von Hessen (gest. 1509, Vater von Philipp d. Großmütigen) war nicht gewillt, diese Dinge noch dem Eigenwilien der Mündener Bürger gehen zu lassen. Das hessische Gebiet reicht auf dem linken Fuldaufer bis zum Rabanerkopf, der heute die Tillyschanze trägt. Dort lagerte er mit seinem Heere, unter dessen Schutz Handwerker, Fischer und Schiffer die Aufbauten beseitigten und zugleich eine Durchfahrt für die hessische Schifffahrt brachen.
Dieser Grenzzwischenfall blieb natürlich nicht ohne diplomatische Folge, denn die Mündener riefen den im Schlosse zu Münden residierenden Herzog Erich I. von Braunschweig um Hilfe an. Dieser ließ zunächst das Wehr wieder herstellen und setzte als Trutzzeichen gegen Hessen den steinernen Löwen an der Tanzwerderbrücke (ob er dort heute noch trutzt?). Erst im 19. Jahrhundert wurde die Sonderstellung Mündens aufgrund der Vereinbarung des Wiener Kongresses (1814/15) über den deutschen Stromverkehr aufgehoben. Die 22 Zollstatten an der Weser verschwanden, und eine einheitliche Schifffahrtsabgabe trat an deren Stelle. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts erwog man in Kurhessen, einen von Mündener Schikanen befreiten Weserhafen für Kassel bei dem hessischen Marktflecken Veckerhagen anzulegen.“
Um 1526 zur Zeit der Reformation hatte Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen (gest. 1562), eine Begegnung in Spiekershausen mit Herzog Heinrich, d. Jüngeren von Braunschweig-Wolfenbüttel (gest. 1568), die aber den Krieg zwischen beiden Fürsten nicht verhindern konnte. Herzog Heinrich widersetzte sich sehr der Reformation in seinem Lande und wurde 1542 durch ein Bündnis von Sachsen, Hessen, Braunschweig und Goslor aus seinem Lande verjagt, in dem daraufhin die Reformation eingeführt worden ist.

Von einem weniger hochherrschaftlichen Streit im Grenzgebiet um Spiekershausen wird am 23.5.1935 berichtet in einem Schulaufsatz aus der Zeit des Lehrers Brümmer:

„Am Ausgang des Enkeberges steht eine Buche, die den Namen „Sergeantenbuche’“hatte. Man erzählt: Einst stritten sich an dieser Stelle ein Hesse und ein Hannoveraner. Der Hesse, im Range eines Sergeanten, musste sein Leben lassen. Er wurde dort beerdigt, aber später wieder ausgegraben. Zu Ehren des Gefallenen wurde eine Buche gepflanzt, die bis heute noch zu sehen ist. Es wird erzählt, dass jede Nacht von Mitternacht bis 1 Uhr ein Leichenzug an der Buche vorbeizieht. …“

Quelle: Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde, www.Sspiekershausen.de