Siedlung an alter Straßenführung

Kurhannoversche Landesaufnahme 1783

Um die frühere Bedeutung unseres Dorfes, ja sein strategisches Gewicht, zu erfassen, müssen wir den Blick weit zurück richten, wie es Kurt Mötzing in seinem Aufsatz in den Hessischen Heimatheften getan hat:
„In früheren Zeiten waren die Täler der Flüsse in der Regel für den Verkehr wenig geeignet. Wohl bildetensie die Leitlinie, bestimmten die Richtung; denn die geringe Breite und Versumpfung des Talgrundes, der Wechsel von Enge und Weite, die Steilheit und Höhe der Ufergehänge waren in hohem Maße hinderlich für Verkehrswege. Die damaligen Verkehrswege waren daher Höhenstraßen.“

Karte von 1710

Gegenüber auf dem linken Fuldaufer hinter den Höhen des Enkeberges liegt das Dorf Wolfsanger (812 urkundlich erwähnt als vulvisanger),damals durchaus bedeutender als Kassel und ein strategischer Etappenort schon für Karl den Großen in seinem 30-jährigen Kampf gegen die Sachsen; hier siedelte Karl der Große fränkische und sächsische Edelinge an, und von hier aus erfolgte auch die Gründung der Dörfer Escherode und Benterode.
Von Wolfsanger aus sollte – in grob nördlicher Richtung verlaufend – die Heerstraße nach Kreuzung mit der Fulda bald wieder die Höhenzüge des Kaufunger Waldes erreichen; und so bot sich eben ganz natürlich an, das Naturhindernis Fulda schon kurz hinter Wolfsanger in der Furt bei Spiekershausen zu überwinden.
Der Straßenverlauf ist heute nur noch schwer zu erfassen, da Rodungen und Verkoppelungen das Landschaftsbild stark verändert haben. Die alte Heerstraße erreichte jedenfalls von Wolfsanger aus kommend in Serpentinen die heutige Fuldastraße an dem Parkplatz, der mit einem Gedenkstein an den Bau derselben in den Jahren 1924/30 erinnert, kreuzt sie und führt dann zu der Stelle, wo sich ehedem die Furt befand. An dieser Stelle ist das im mittleren Sandstein eingetiefte Fuldatal so eng, dass linksseitig keine Siedlung möglich war; nur ein Wachthaus stand dort (siehe Niveaukarte des Kurfürstentums Hessen Nr. 16 von 1859), wahrend gegenüber auf einem Schuttkegel und weniger steilen Lösshang sich das kleine Dörfchen Spiekershausen entwickeln konnte.
Zu der Furt findet man in einer Akte von 1616 (A. Herbst, Die alten Heer- und Handelsstraßen Südhannovers):
„und es auch daselbst eine Vördt undt Fehre durch undt vber die Fulda hatt, dadurch der wandernde Mann zu Fuß ross undt Wagen/: wenn er seinen Weg nicht gern auf Kassel zunehmen will/: kohmen undt Kassei zur Seiten liegen lassen kann.“
Adelheid Schlaefke dazu in ihrer Examensarbeit von 1950:
„Die Enge des Tales bietet dem Querverkehr im Gegensatz zu den Höhenwegen, der es kreuzt, Vorteile, die zeitweilig eine erhöhte Bedeutung gehabt haben. Es zeigt sich hier eine auffällige Benutzung der Übergänge über den Fluss in einer Zeit, die noch die Stellen an den Flüssen aufsuchen musste, an denen fester Boden zu beiden Seiten möglichst nahe am Wasser für den Übergang Fähren und Brücken unnötig machte. Der Anstieg zum Rande der Hochflächen durch Nebentäler wird erleichtert. Die Bäche dieser Nebentäler führen zu Geröllanhäufungen im Hauptflussbett und engen dieses noch mehr ein bzw. lassen einen flachen Oberweg, eine Furt, entstehen.“
An dieser seichten Stelle der Fulda befand sich ein leichter hölzerner Steg, teilweise dammartig mit Knüppel- oder Reisigbündeln unterlegt, damit man auch bei stärkerer Wasserführung trockenen Fusses oder mit trockenem Handelsgut auf den Wagen das andere Ufer erreichen konnte. Dieses Hochwasser und Eisgang schutzlos ausgesetzte provisorische Bauwerk wurde damals als spike oder spekige bezeichnet, was der ersten Ansiedlung an dieser Stelle auf dem rechten Flussufer dann ihren Namen gegeben hat. Ist die Furt überquert, fährt die alte Heerstraße – anfangs noch ziemlich steil, bald aber dann allmählicher ansteigend – in nordöstlicher Richtung auf die Hochfläche um Landwehrhagen.
 
Heute ist Spiekershausen von Wolfsanger aus nicht mehr durch eine Furt zu erreichen, und auch die Fähre gehört der Vergangenheit an; wer an der Stelle der alten Furt Spiekershausen besuchen möchte, muss sich schon einem Schiff der „Weißen Flotte“ anvertrauen, die in den Sommermonaten unsere Region besucht und zahlreiche Gäste von Kassel nach „hüben und drüben“ bringt: drüben ist auf den Mauern des einstigen Wachthauses die „Graue Katze“ entstanden, daneben der Rote Kater – heute unter demselben Gastronomen ein beliebtes Ausflugsrestaurant mit angeschlossenem Hotelbetrieb. Das „Waldschlösschen“ – zwei Steinwürfe links flussabwärts – ist umgestaltet und nicht mehr dem Fremdenverkehr zugängig; aber dafür bietet Spiekershausen selbst inzwischen auch eigene beliebte Gastronomie, erreichbar zu Fuß, zu Rad und zu Schiff, wenn man das Auto daheim lassen will.
Zurück zu den Straßen:
Heute führt von Kassel über Sandershausen rechts der Fulda unterhalb des Steilhangs des auslaufenden KaufungerWaldes eine 1909 gebaute schmale Straße. Sie wurde im Zusammenhang mit der Flussregulierung ausgebaut und wird seitdem durch einen begehrten, vielbesuchten Fahrrad- und Fußweg begleitet. Nach Überschreiten der Landesgrenze ins Niedersächsische (am Wandersteinsbach beim heutigen Fußballplatz) windet sich die Straße als Kreisstraße 214 durch den Ort und gelangt, über den Mühlenkopftunnel der neuen Schnellbahntrasse Hannover-Würzburg in Serpentinen ansteigend, nach Landwehrhagen.
Sie ist dadurch beachtlich länger als die direkte Verbindung von Spiekershausen nach Landwehrhagen durch die so genannte Höhle, die als Kommunalstraße in ihrem vernachlässigten Zustand mit Schlaglöchern, holprigem Belag und mangelhaften Bankettbefestigungen lebhaft an eine alte Heerstraße erinnert. Ob sie es war?

Quelle: Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde