Der Fischfang

Außer dem Ackerboden gehörte auch die Fulda zur Gemarkung des Dorfes und stellte neben den Erzeugnissen der Landwirtschaft eine zusätzliche Einnahme- und Ernährungsquelle dar. Ich möchte zu diesem Thema ungekürzt aus der Examensarbeit von Adelheid Schlaefke zitieren:

„Die Fulda gewährte durch ihren Fischreichtum den Einwohnern von Spiekershausen lange Zeit hindurch eine wichtige Ergänzung zu ihrer sonstigen Nahrung und, da ihnen der Verkauf der Fische unter gewissen Bedingungen vom Landesherrn erlaubt war, auch eine Möglichkeit zum Nebenverdienst, denn Seefischhandel war in Hessen während des Mittelalters wenig im Gange. Weiterhin stellte später der Treidelverkehr auf dem Flusse eine Einnahmequelle für die Männer im Dorfe dar.

Landau schreibt 1860 über den Fischreichtum der Fulda: Es steht fest, dass sich die Zahl der Fische gegen früher außerordentlich verringert hat, sowohl derer, die aus dem Meere aufsteigen, als auch der heimischen in den Flüssen mit und ohne Wehranlagen. Die Dampfschifffahrt und die vielen gewerblichen Anlagen, deren Abwässer in die Fulda geleitet werden, haben neben anderen Ursachen unzweifelhaft einen sehr nachteiligen Einfluss auf die Lebensmöglichkeiten der Fische ausgeübt. In Zeiten, in denen eine weit größere Zahl von Menschen sich durch Fischfang ernährte, und der Fisch schon wegen des Fastens Hauptnahrungsmittel war, wurden viel größere Mengen gefangen als heute (1860).

In der Fulda gab es etwa 17 Fischarten, deren einige ein recht beträchtliches Gewicht erreichen konnten: Karpfen mit einem Gewicht von 24 – 28 Pfd.; Hecht 16 – 22 Pfd.; Lachs oder Salm 10 – 15 Pfd. in der Fulda vorherrschend; erreichte aber bis zu 37 Pfd.; 1443 fing Ludwig 1. mit einem Zug 798 Lachse, 1649 Landgraf Wilhelm (?) 239 Stck., 1848 ein letzter bedeutender Zug bei Kassel von 20 Stck.; Barbe, seit 1700 selten; Aaland; Aal, in reicher Zahl; Barsch; Kaulbarsch; Schleie, bei Kassel sehr selten; Rotauge, Mayfisch; Nase, zahlreich, auch Blaunase genannt; Weißfisch, wird oft als Blecke gerechnet; Lachsforelle, selten; Neunauge, häufig; Grempe, auch Grasse genannt, Blecke, der kleinste und zahlreichste Fisch. Neben den Fischen wurde auch der Krebs gefangen.

Der Fluss war – wie die Gemarkung – nicht ursprünglich Eigentum der Siedler; er gehörte zum Bannforst des Königs, später zum Eigentum der Landgrafen und Herzöge. Daher war ein freier Fischfang und -handel für die Spiekershöuser nicht möglich. Bei der Darstellung des Fischereirechtes ist es wohl sinnvoll, eine Nachricht aus dem 16. Jahrhundert, die über die Landzüge auf der Fulda berichtet, wiederzugeben. Diese sind – wie Landau betont – ein von alters her geübter Brauch:

„Die Landzüge galten einem zweifachen Zweck. Sie galten entweder nur der Ausübung der Stromherrschaft oder waren den Grenzgängen gleich, welche durch die Gerichtseinsassen auf dem Lande gehalten wurden. Wie bei letzterem meist alljährlich in feierlichem Zuge die Grenzen des Gerichts umgangen wurden, so geschah es hier auf den die Grenze bildenden Flüssen.

In Hessen fanden alljährlich mehrere solcher Fischzüge statt. Einer derselben geschah auf der Fulda, soweit diese die Grenze zwischen Hessen und Hannover bildete. Unter der Führung des Hoffischers mit Beilhilfe der Fischer des Amtes Kassel, welche einen Teil ihrer Kähne und ihren Fischereibedarf dazu stellen mussten und in Gemeinschaft mit dem Hannoverschen Schulzen von Landwehrhagen und der Fischer des Amtes Münden, welche vorausfuhren, begann man den aus mehreren Kähnen bestehenden Zug bei Wilhelmshausen am „Wannstein“ und zog die großen Ziehgarne im Wasser bis Spiekershausen. Dieser Landzug dauerte 8 Tage und zuweilen noch länger. Ehe der Zug begann, erhielten die Fischer ein Essen und ebenso nach dessen Vollendung. Außerdem empfingen sie für die Fahrt Proviant (im Anfang des 17. Jh. 4 Zober Bier, 700 Tafelbrote, 24 Pfund Speck, 1 Metze Salz, 1 Maß Weinessig, 8 Pfund Wildbret, 8 Pfund Rindfleisch, 8 Lot Pfeffer, 8 Lot Ingwer) und eine Vergütung in Geld.

Alle Hauptfische, welche gefangen wurden, mussten an die Hofküche geliefert werden, wogegen alle kleinen Fische, Weißfische und Barben auf den Schiffen zubereitet und gemeinschaftlich verzehrt wurden.“

Aus diesem Bericht geht hervor, dass das Fischereirecht gar nicht oder wenigstens nur zum Teil den Spiekershäuser Ackerbauern gehörte. Da Spiekershausen nie freie Marktgenossenschaft gewesen war, konnte es sich nicht auf alte Fischereirechte berufen. Das Recht der Fischerei war – zum Bannforst gehörig – nur durch königliche Verleihung zu erlangen. Als Reichsstraßen kamen die schiffbaren Flüsse aber ganz allgemein bald an die Besitzer der erblich gewordenen Grafschaften, die dann auch von ihren Rechten gründlich Gebrauch machten. Wo die Fischerei von den Eignern nicht selbst benutzt werden konnte, wurde sie einem erfahrenen Fischer als eigenem Diener überlassen. Dieser hatte für die herrschaftliche Rechnung die Fischerei zu besorgen. Unter den fürstlichen Dienstleuten findet sich schon früh „der Fischer“ (Hoffischer).

Weil aber die Fische ehemals eine unentbehrliche Nahrung für den Landmann abgaben, trachteten die Gemeinden trotz der immer mehr zunehmenden Beschränkungen danach, die Fischerei auf Zeitpacht oder Erbleihe gegen Zins zu erhalten. Ein solches Vertragsverhältnis nehme ich auch für Spiekershausen an. Diese Vereinbarungen waren zudem ganz allgemein am häufigsten.

Der Zins konnte in Geld oder Ware in ganz bestimmter Zahl, an einem bestimmten Tag geliefert werden. In Niederhessen mussten 1574 die Fischer alle Hauptfische, wie Lachse etc., zur Hofküche nach Kassel liefern (jeder Lachs wurde mit einem Maß Korn bezahlt). Außerdem wurden sie verpflichtet, dem Hoffischer, wenn dieser einen „Landzug“ tun wollte, mit ihren Kähnen und Garnen gegen Kost und Trank zu helfen.

Die Verpflichtungen der Fischer erstreckten sich auch auf den Gebrauch der Gerätschaften. Schon seit der ältesten Zeit hatte man für den Fischfang besondere Vorrichtungen und Gerätschaften. Landau berichtet über eine Anzahl fangtechnisch mannigfaltig konstruierter Netze, Schnüre, Fischfange, Fischwehre und Reusen. Er schildert u. a. aber auch, wie genau die Bestimmungen zu ihrer Benutzung durchdacht und festgelegt waren. 1559 schon wurden z. B. an jedes Amt Muster und Formeisen (Strickstöcke) geschickt, damit die Größe der Netze festgelegt war. Ebenso waren die Fangzeiten wegen der Fischhege bestimmt. Der Verkauf der Fische, die in Spiekershausen gefangen wurden, geschah wahrscheinlich nur auf dem Kasseler Fischmarkt. Beinahe jede Stadt hatte ehedem ihren besonderen Fischmarkt, welcher durch den sog. „Fischstein“ bezeichnet war (Kasseler Fischmarkt und Fischbrunnen). Die Fischereiordnung von 1559 untersagte jedes Hausieren und gebot dass jeder Fischer seine Fische auf den öffentlichen Markt an den Fischstein bringen sollte, und zwar lebendig, wie die Ordnung von 1681 hinzufügt. Ebenso wurden auch die Preise und die Verkaufstage (Fischtage) bestimmt. Der Verkauf geschah teilweise nach dem Gewicht teils nach dem Gemäß, nur die Krebse wurden gezählt.

Eine Änderung aller dieser Verpflichtungen trat um 1730 ein. Die Fischereien, welche von Kassel abgelegener und bisher auf fürstliche Rechnung betrieben worden waren, wurden verpachtet und damit hatte der Fischer als Pächter freiere Hand als zuvor.

Berufsfischer waren die Bewohner der Höfe:

12 (Bein; jetzt Eberleinstr. 3)
13 (Grimm, Chr.; jetzt Eberleinstr. 5)
14 (Spohr, Otto; jetzt Eberleinstr. 2)
16 (Regenbogen; jetzt Hauptstr. 36)
18 (Hade/Böhme „Treppedee“; jetzt Garagen neben „Fuldagarten“).
Aalfänge oder Anteile daran besaßen die Inhaber der Höfe:

3 (Spohr, Erich Schmittee; jetzt Hauptstr. 16, hatten 50% Anteil am ältesten Aalfang, am Langen Wehr)
4 (Winneknecht, Richard; Mühle)
5 (Winneknecht, Martin „Schlachters“; jetzt: Hauptstr. 14)
6 (Gimpel, Wilhelm; jetzt Hauptstr. 12)
13 (siehe oben)
14 (siehe oben)
16 (siehe oben)
18 (siehe oben; baute sich den vierten Aalfang, das Gänsewehr).
Es gab 4 Aalfänge, und zwar am Wannensteinwehr, Gansewehr, Langen Wehr und Mühlenwehr.

Schon bald nach 1789 kann die Befreiung von Steuern, Kirchenzehnt und Frondiensten auch in Spiekershausen stattgefunden haben. Der Boden war damals noch nicht frei veräußerlich, sollte aber nach den Absichten des Freiherrn v. Stein Eigentum des Bauern werden. 1807 werden die Bauern Staatsbürger und Eigentümer. Die Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft fällt endgültig fort. Die liberale Agrargesetzgebung entsteht, und so beginnt allgemein unter den Bedingungen des kapitalistischen Marktes die rationale Wirtschaft und erwerbswirtschaftliche Produktion. Das Realgewerberecht berechtigte jeden Staatsbürger zur Ausübung eines bestimmten Gewerbes (z. B. Fischereigerechtigkeiten), aber auch die mit dem Grundstück nicht verbundene Berechtigung zum Handel wurde gegeben.

Da der Landbesitz vieler Spiekershäuser Einwohner klein war, wandten sie sich insbesondere dem Fischfang zu. Die Fischereigerechtigkeiten gehörten nun der Realgemeinde. Wie mir von Gewährsmännern wiederholt versichert wurde, war der Fischhandel eine sehr dankbare und sich lohnende Erwerbstätigkeit.

Mit der Kanalisierung der Fulda 1885 und dem Bau der Spiekershäuser Schleuse aber waren wesentlicheVeränderungen in das Dorfleben gekommen: Die Kanalisierung forderte zwar die völlige Beseitigung der Aalfänge bis auf den an der Mühle (Mühlenwehr), der unter wesentlichen Abänderungen bestehen blieb. Die Entschädigung aber, die die Bauern dafür erhielten, betrug 70.000,- Mark. Sie erwarben für das Geld Land in der Gemarkung Landwehrhagen und verbesserten auch anderweitig ihre wirtschaftlichen Verhältnisse.“

 

Quelle: Helga Haeberlin, erstmals veröffentlicht 1994 in der Festschrift zum 675-jährigen Jubiläum der Gemeinde, www.spiekershausen.de